Dr. Michaela Geiger

veröffentlicht am 11.12.2020 von Redaktion krankenkasseninfo.de

Wer als Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung homöopathische Behandlungen wünscht, kann diese in Deutschland bei circa 6000 spezialisierten Ärzten in Anspruch nehmen und bei der Mehrheit der Kassen über die Chipkarte abrechnen. Doch der politische Druck auf diesen Zweig alternativer Behandlungsmethoden wächst, trotz aller Nachhaltigkeitsdebatten. Grund genug, mit der 1. Verbandsvorsitzenden des DZVhÄ Dr. Michaela Geiger zu sprechen.

Homöopathische Medizin gerät in den Medien und der Öffentlichkeit zunehmend und nicht erst seit Corona in den Verdacht des Unseriösen: Kabarettisten und TV-Magazine, aber auch Politiker profilieren sich gern auf Kosten der Homöopathie. Lassen sich Ihre Patientinnen und Patienten davon beeindrucken?

Dr. Michaela Geiger: Die ärztliche Homöopathie ist anerkannt und ein Teil der ärztlichen Therapiemöglichkeiten. Nach wie vor ist es so, dass sich zwei Drittel aller Patienten eine homöopathische Behandlung laut einer FORSA-Umfrage aus dem Januar 2019  wünschen. Als ärztlicher Verband wollen wir das im Rahmen einer integrativen Medizin anbieten. Also die Verbindung konventioneller ärztlicher Therapien mit Komplementärmedizin, in diesem Fall der Homöopathie. Ziel der ärztlichen Behandlung ist, diese individuell auf den Patienten abzustimmen, so sorgfältig dosiert wie möglich zu therapieren und dadurch eine sichere und bestmögliche Behandlung der Patienten zu gewährleisten.

Im Moment übernehmen in Deutschland rund 70 Prozent der Gesetzlichen Krankenversicherungen im Rahmen von Selektivverträgen die Kosten für homöopathische Leistungen für die Versicherten. Voraussetzung ist, dass die Behandlung von Vertragsärzten durchgeführt wird, die die ärztliche Zusatzbezeichnung „Homöopathie“ im Rahmen einer Zusatzweiterbildung in einer Ärztekammer erlangt haben oder über das Homöopathie-Diplom des DZVhÄ verfügen. Beides sind absolut anerkannte und seriöse Fachqualifikationen. Nach meiner Erfahrung – und das bestätigen auch die meisten meiner Kollegen – lassen sich Patienten, die bisher gute Erfahrungen mit homöopathischer Behandlung gemacht haben, durch entsprechende Berichte nicht beeindrucken.

Ausgerechnet die GRÜNEN haben aus der Homöopathie eine politische Debatte gemacht und sich nun final gegen die Erstattungsfähigkeit durch die Krankenkassen positioniert. Wie erklären sie sich diesen Eifer, der sich auch gegen etablierte alternative Milieus richtet?

Dr. Michaela Geiger: Die Grünen sind in der Tat in dieser Frage nicht einheitlich. Hier werden aus unserer Sicht Themen vermischt und sehr vereinfacht dargestellt: Beim Klimawandel sind die Naturwissenschaften gefragt, kein Zweifel. Die Medizin aber ist keine Naturwissenschaft sondern eine Erfahrungswissenschaft, in der auch die Naturwissenschaft eine Rolle spielt. Das ist ein gehöriger Unterschied. Im Grundsatzprogramm positioniert sich die Partei auf Vorschlag des Bundesvorstands aus unserer Sicht weder gegen Homöopathie noch gegen die Erstattungsfähigkeit.

„Wenn homöopathische Leistungen mit einem Wahltarif belegt werden würden, kommt es zu einer sozialen Ungerechtigkeit“

Sie beschreiben, dass wissenschaftlich belegte Methoden von der GKV erstattet werden sollen –  nichts anderes gilt sowieso für GKV-Leistungen. Inwiefern die Grünen die Forderungen nach einem GKV-Wahltarif Homöopathie, der also wie eine Zusatzversicherung mit monatlichen Beiträgen von den Versicherten privat gezahlt werden müsste, auch im Wahlkampf fordern werden, bleibt abzuwarten. Klar ist, wenn homöopathische Leistungen mit einem Wahltarif belegt werden würden, kommt es zu einer sozialen Ungerechtigkeit, da die Inanspruchnahme dann vom Geldbeutel der Versicherten abhinge. Homöopathie müsste man sich dann „leisten“ können. Die jetzigen Selektivverträge hingegen ermöglichen Homöopathie für jedermann quasi „auf Chipkarte“.

Hauptargument aller Gegner ist der immer wieder geäußerte Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit bzw. „fehlender Evidenz“, durch den alle Heilerfolge dem Placebo-Effekt zugeschrieben werden. Warum ist es bislang nicht gelungen, dem mit geeigneten Forschungsstudien nachhaltig wirksam zu begegnen?

Dr. Michaela Geiger: Auch ein nicht geringer Prozentsatz dessen, was in der konventionellen Medizin täglich verordnet wird hat wenig und teilweise auch gar keine Evidenz im Sinne hochwertiger wissenschaftlicher Studien. Dennoch kommen solche Therapien zur Anwendung, weil es in der Medizin eben nicht nur um Wissenschaft, sondern auch um ärztliche Erfahrung geht. Insofern sind homöopathisch arbeitende Ärzte auf Augenhöhe mit ihren konventionell tätigen Kolleginnen und Kollegen. Fehlende wissenschaftliche Evidenz bedeutet aber auch nicht Fehlen von Wirkung, sondern nur, dass diese – noch – nicht ausreichend sicher objektiviert ist. Und wenn im Übrigen ein Heilerfolg nur und ausschließlich auf einen Placebo-Effekt zurückzuführen wäre, dann bliebe dieses Ergebnis dennoch ein Heilerfolg. Wenn es homöopathischen Ärzten also gelingen sollte, derartige Effekte zu erzielen ohne jede wirksame Therapie, dann stellt sich doch die Frage, warum macht es die konventionelle Medizin nicht ganz genau so: effektiv und nebenwirkungsarm?

„Fehlende wissenschaftliche Evidenz bedeutet nicht Fehlen von Wirkung, sondern nur, dass diese noch nicht ausreichend sicher objektiviert ist.“ 

Tatsächlich gibt es aber – von der Grundlagenforschung bis zu doppelblinden Studien – sehr deutliche Hinweise darauf, dass Homöopathie eindeutig mehr bewirken kann, als es unter dem Fokus der Placebowirkung zu erwarten wäre. Das Problem ist: diese Studien werden absichtlich nicht wahrgenommen oder ihr Vorhandensein einfach negiert. Ursache hierfür sind dabei nicht die tatsächlichen Ergebnisse, sondern die Tatsache, dass deren Zustandekommen – noch – nicht plausibel erklärbar ist. Dieses Problem ließe sich durch wesentlich mehr öffentliche Forschungsförderung nachhaltig beheben, wofür aber Voraussetzung wäre, mit mehr Neugier und wissenschaftlicher Offenheit und weniger Voreingenommenheit das Thema anzugehen.Während die konventionelle Entwicklung von Medikamenten auf Forschung beruht, die sich dann der medizinischen Praxis stellen muss, ist die Homöopathie in erster Linie eine erfolgreiche medizinische Praxis, die sich der wissenschaftlichen Forschung stellen und weiter entwickeln muss.

Als medizinischer Fachverband sind Sie auch international vernetzt. Wie verläuft die Homöopathie-Debatte aktuell in anderen Staaten – und welches Modell aus dem Ausland würden Sie sich für Deutschland wünschen?

Dr. Michaela Geiger: Im Nachbarland Schweiz ist es gelungen, durch eine große Beobachtungsstudie (1998 bis 2005) im Rahmen des Programms Evaluation Komplementärmedizin (PEK) des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) die Homöopathie gleichberechtigt neben der konventionellen Medizin zu etablieren. Das Ziel wurde erreicht, die ärztliche Homöopathie in der Schweiz in die obligatorische Grundversorgung aufzunehmen. Im sogenannten HTA-Bericht (Health-Technology-Assessment), der die Kriterien Wirksamkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit wissenschaftlich geprüft hat, kam man zu dem Ergebnis, dass Homöopathie „unter Berücksichtigung von internen und externen Validitätskriterien als belegt,“ und „die professionelle sachgerechte Anwendung als sicher“ gelten kann. Das wäre für mich ein Wunschszenario.


Ökologie und Nachhaltigkeit sind heute politische Leitthemen. Wäre es nicht viel logischer, dass dadurch auch die Homöopathie als naturnahe Medizin gestärkt werden sollte anstatt sie ins Abseits zu drängen?

Dr. Michaela Geiger: Selbstverständlich wäre es logischer, dass unter den Überschriften Ökologie, Artenvielfalt und Nachhaltigkeit die Homöopathie an Boden gewinnt. Das tut sie auch, nämlich bei den Patienten. Der Widerstand kommt ja nicht von den Anwendern, sondern von Seiten der kleinen, aber lautstarken Gruppe der so genannten „Skeptiker“. Deren Argumente sind rein theoretischer Natur und von einer ausschließlich materialistischen Weltsicht geprägt, während Patienten ihre ganz anderen, eigenen Erfahrungen machen.

„Wenn man Ökologie auch mit Artenvielfalt in gedanklichen Zusammenhang bringt, dann müssen wir auch die Diversität im Bereich der Medizin und ihrer teilweise alten Traditionen berücksichtigen. Tun wir das nicht, bleibt am Ende eine reine ‚Monokultur‘.

Wenn man Ökologie auch mit Artenvielfalt in gedanklichen Zusammenhang bringt, dann müssen wir auch die Diversität im Bereich der Medizin und ihrer teilweise alten Traditionen berücksichtigen. Tun wir das nicht, bleibt am Ende eine reine „Monokultur“. Patienten wollen das genau nicht, sie wollen die Integration ergänzender Therapieformen wie zum Beispiel die Homöopathie. Es sind also in erster Linie die Patienten, die „mit den Füssen“ die Homöopathie davor schützen, ins Abseits gedrängt zu werden. Und sie tun das aus guten Gründen, nämlich aus eigener, persönlicher Erfahrung, die ihnen niemand nehmen kann. Ich bin der Meinung, dass unserer Gesellschaft aus ärztlicher Sicht Vielfalt und Wahlfreiheit im Gesundheitswesen gut tut und notwendig ist und dass wir dabei eine sachliche und wissenschaftliche Diskussion führen müssen.